Da die innere Einkehr in diesen Tagen ja besonders empfohlen wird, habe ich mich vor einigen Tagen mit Stift und Papier (!) an meinen Schreibtisch gesetzt, um darüber zu sinnieren zu welchen Erkenntnissen mich die aktuelle Corona-Krise bisher bringen. Das Ergebnis ist hier nachzulesen.
Da es mich als Coach und Beraterin aber eher interessiert, wie andere denken, habe ich die Frage: "Welche Erkenntnisse ziehst Du/ziehen Sie aus dieser aktuellen Krise" per Mail, per WhatsApp, telefonisch und persönlich (selbstverständlich mit 1,5 m Abstand) auch Freunden, Geschäftspartnern und Klienten gestellt und dabei eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Antworten erhalten.
Eine häufige Reaktion auf meine Frage war übrigens: „Das ist eine interessante Frage. Ich hatte noch keine Zeit darüber nachzudenken. Aber ich werde das tun und mich dann wieder melden…“ Und viele haben sich dann tatsächlich auch mit Stift und Papier (!) hingesetzt, um über diese Frage zu sinnieren.
Erkenntnis Nr. 1: Mit Stift und Papier gelangt man auch in Zeiten von Corona zu wertvollen Erkenntnissen.
Linda K. zum Beispiel, die ein Lerncenter für Kinder und Jugendliche betreibt. In „normalen“ Zeiten kommen ihre Schüler in den Nachmittagsstunden persönlich zu fest vereinbarten Stunden, um den Schulstoff in Mathematik und Englisch vor- und nachzubereiten. In Zeiten von Corona ist aber nichts mehr „normal“. Für Linda bedeutet dies zum einen, dass ihre Schüler gerade seeeeehr viel Zeit haben und mit ihren Eltern gemeinsam im Homeoffice „eingesperrt“ sind und sowohl Schüler als auch Eltern glücklich sind, über jede Abwechslung und jede Unterstützung, die ihnen angeboten wird.
Gleichzeitig dürfen Lindas Schüler wegen der Kontaktsperre nicht mehr in ihr Lerncenter kommen. Innerhalb von nur wenigen Tagen musste Linda sich und ihren Angestellten eine komplett neue Ablaufstruktur verpassen und ein digitales Lerncenter aufbauen. Damit dies gelingt waren vorab folgende Fragen zu klären: „Wie und wann wollen wir arbeiten, ohne selbst über unsere Grenzen zu gehen? Wir finden wir eine gute Balance zwischen Beruf und Familie (auch Lindas Mann und ihre Tochter sind im Homeoffice). Zu welchen Zeiten wollen wir erreichbar sein? In welcher Form übermitteln wir die Lerninhalte? Wie kommunizieren wir mit unseren Schülern? Wie geben wir den Eltern Hilfestellung? Welche Technik brauchen wir? Welche Lernplattformen eignen sich für uns? Dazu war viel eigenes Nachdenken und Ausprobieren notwendig aber vor allem auch viel Kommunikation und transparenter Austausch mit allen Beteiligten, denn natürlich birgt dieser neue Weg auch Herausforderungen und Risiken, über die alle informiert werden müssen.
Dass Linda sich bei der Lernkurve, die sie hinlegen durfte, zeitweise ziemlich „groggy“ fühlte, ist wohl verständlich, aber insgesamt kommt sie doch zu dem Schluss, dass sie gemeinsam mit ihren Mitarbeitern, den Schülern und den Eltern auf einem sehr, sehr guten Weg ist und dass sie die Unterstützung und das positive Feedback, dass sie von überall erfährt, sehr berührt und stärkt.
Erkenntnis Nr. 2: Eine gute Struktur, regelmäßige Kommunikation sowie Transparenz sind essenziel, wenn man gemeinsam innerhalb kurzer Zeit Großes erreichen möchte.
Erkenntnis Nr. 3: In Krisenzeiten können wir über uns hinaus wachsen. Intrinsische Motivation und Zuspruch von außen sind dafür wichtige Treiber.
Auch Yvonne Q. hat sich der Frage nach der Erkenntnis gestellt. Sie ist pädagogische Fachberaterin in einer Kommune und sie berichtet, dass sie sich in diesen komischen Zeiten hin und hergerissen fühlt. Ein Teil von ihr sagt: „Bleib bei dir, versuche in deiner Mitte zu sein, lass dich von der Panik nicht anstecken, setze weiterhin Zeichen der Verbundenheit und der Menschlichkeit, das geht auch durch ein Lächeln und eine Geste der Dankbarkeit.“
Auf der anderen Seite wirken „Verschwörungstheorien“, die in den Sozialen Medien gerade besondere Blüten treiben, aber eine durchaus starke Anziehungskraft aus. Aussagen wie: „Wartet ab, wenn erst die Krise hinter der Krise zutage tritt“ oder „Corona wurde nur künstlich herbeigeführt, um die Menschheit vor der eigentlichen Thematik abzulenken…“ Da muss man schon wirklich sehr stark sein, um sich dem zu entziehen und nicht selbst in Angst und Panik zu verfallen.
Erkenntnis Nr. 4: Schon in „normalen“ Zeiten ist es nicht leicht bei sich zu bleiben bzw. sich seine eigene Meinung zu bilden und nicht bei jedem „Info-Happen“ zuzubeißen, der uns hingeworfen wird. In Krisenzeiten brauchen wir aber scheinbar noch eine extra Portion innere Präsenz und Achtsamkeit.
Stefan M. erzählt mir, dass ihm erst jetzt aufgefallen ist, wie sehr ihn seine „persönlichen Zwänge“ im Griff hatten. Der tägliche Weg ins Fitnessstudio war fast schon zu einer Obsession geworden. Das sei ihm aber tatsächlich erst wirklich bewusst geworden, als er wegen des Kontaktverbots nicht mehr ins Studio gehen durfte. Als Ausgleich hat er jetzt das Joggen in der Natur für sich entdeckt. Gleichzeitig hat sich in seinem Inneren aber auch etwas verändert, wie er sagt. Er beschreibt, dass er im Moment intensiver lebe, dass er dankbarer sei für jeden Moment, dass er sich die Zeit nimmt, um den Vögeln am Morgen zu lauschen und dass er derzeit viele Telefonate führt und sogar wieder Briefe schreibt.
Gleichzeitig nutzt er den verordneten „Winterschlaf“ zur Selbstreflexion und stellt sich Fragen wie diese: „Was nehme ich aus dieser Zeit für mich mit? Wie setze ich in Zukunft meine Prioritäten? Wie kann ich meine Ressourcen in Zukunft noch sinnvoller einbringen? Welche Rituale sollte ich mal überdenken? Welche durch die Krise neu gewonnenen Rituale möchte ich auch in der Zeit danach beibehalten?
Erkenntnis Nr. 5: Krisen schenken uns mehr Bewusstheit, wenn wir ihnen die Chance dazu geben.
Dave H. ist Schreiner und damit einer der Millionen Solo-Selbständigen, die derzeit um ihre Existenz bangen. Dave erzählte mir, dass er bis vorige Woche so volle Auftragsbücher hatte, dass er nicht wusste, wann er diese Aufträge alle abarbeiten solle. Seit dieser Woche wurden aber fast alle Aufträge wegen des Kontaktverbots verschoben. Noch freut Dave sich über die geschenkte, freie Zeit und hat große Hoffnung, dass die strengen Regeln bald wieder aufgehoben werden, so dass er seine Aufträge danach wie geplant abarbeiten kann. Wie er das dann zeitlich managen soll, weiß er allerdings noch nicht.
Erkenntnis Nr. 6: Mit der Hoffnung auf eine positive Zukunft lassen sich Krisen ganz gut meistern.
Marion B. ist Seminarleiterin und beruflich darauf spezialisiert Menschen und vor allem Kindern die Themen Glück und Resilienz näher zu bringen. Marion kommt aus dem Kreis Heinsberg und damit aus dem derzeitigen Epizentrum der Krise. Vor einigen Wochen hatte sie selber die bei Corona bekannten Symptome, weiß aber nicht, ob sie tatsächlich daran erkrankt war. Da die Krankheit bei ihr nur mittelschwer verlaufen ist, wurde sie nicht getestet, war aber, genau wie ihre Familie, für zwei Wochen in Quarantäne. Jetzt ist sie wieder gesund, kennt aber viele Menschen, die neu oder immer noch daran erkrankt sind. Große Sorgen macht sie sich vor allem um eine nahe Verwandte und einen guten Bekannten, die derzeit beide auf einer Intensivstation behandelt werden.
Trotz der Sorge erkennt Marion aber auch das Positive in dieser Krise. Große Hoffnung setzt sie darauf, dass sich der „Drive“, den wir gerade spüren auch rüber tragen lässt in die Zeit nach Corona und sich das auch auswirkt auf die Klimakrise. „Die Politiker haben doch jetzt bewiesen, dass sie sehr schnell handeln können, wenn es drängt. Und in der Klimakrise drängt es schon lange! Lasst uns diese Krise also jetzt endlich alle gemeinsam genauso entschlossen anpacken, wie die Corona-Krise“.
Erkenntnis Nr. 7: Resilienz- und Glücks-Trainerinnen sowie andere „Profis“ wie Coaches und Therapeuten sind in Krisenzeiten nicht frei von Angst, Sorge und Ohnmachtsgefühlen, wenn es um die eigene Existenz oder die ihrer Liebsten geht. Aber sie kennen häufig gute Methoden, damit diese destruktiven Gefühle nicht Überhand nehmen.
Erkenntnis Nr. 8: Wo ein Wille, da ein Weg. Diese Erkenntnis sollten wir nach Corona auch übertragen auf die Klimakrise und hier genauso entschlossen handeln, wie bei COVID-19.
Auch Liesel B. lebt im Kreis Heinsberg. Sie ist Hausfrau, 85 Jahre alt und gehört somit zur absoluten Risikogruppe von Corona. Liesel wurde im zweiten Weltkrieg geboren, hat in ihrem Leben viele wirtschaftliche und persönliche Krisen durchlebt und war schon sehr häufig mit schweren Krankheiten und dem Tod in ihrem nahen Umfeld konfrontiert. Liesel hat an ihrem normalen Tagesablauf eigentlich nichts verändert. Sie geht täglich spazieren (selbstverständlich mit dem vorgegebenen Mindestabstand zu anderen) und hält per Telefon jeden Tag Kontakt zu Verwandten, Nachbarn und Freunden. Sie beobachtet, dass sich alle ziemlich schnell mit den strikten Regeln, die verhängt wurden, abgefunden haben. Angst vor Corona hat Liesel nicht. „An irgendetwas muss ich doch sterben“, sagt sie. „Und wenn es Corona ist, dann soll es wohl so sein. Das habe ich doch sowieso nicht in der Hand. Das wird doch von „dem da oben“ gelenkt.“
Erkenntnis Nr. 9: Menschen sind von Natur aus sehr anpassungsfähig und haben die Fähigkeit auch schwere Krisen mental gesund und gelassen zu überstehen.
Erkenntnis Nr. 10: Eine große Portion Gottvertrauen ist ein besonders wirksames Mittel gegen Angst.
Comments