Wir leben in einer Welt, in der das Rationale, also der Verstand und die Vernunft deutlich höher bewertet werden, als die Intuition. In harten beruflichen Auseinandersetzungen wird man als Gesprächspartner in der Regel ernster genommen, wenn man darlegen kann, dass die Fakten A, B, und C gegen oder für eine These sprechen, anstatt darzulegen, dass einem sein Bauchgefühl sagt, man fühle sich mehr zu Idee A oder Konzept B hingezogen. Dabei belegen zahlreiche Studien, dass selbst Topmanager und Politiker, wenn sie sich zwischen zwei Wegen entscheiden müssen, sich eher durch ihr Bauchgefühl als durch nackte Fakten leiten lassen.
Die drei Gehirne des Menschen
Die Wissenschaft hat mittlerweile herausgefunden, dass wir mehr als nur ein Hirn haben. Genau genommen haben wir nämlich drei. Eins im Kopf, eins im Bauch und eins im Herzen. Frederic Laloux beschreibt die Entdeckung dieser drei Hirne im Vorwort zu seinem Buch „Reinventing Organizations“. Dort weist er darauf hin, dass das Gehirn im Bauch schon vor langer Zeit, in den 1860er Jahren von dem deutschen Arzt Auerbauch entdeckt wurde und von den Kollegen Bayliss und Starling weiter erforscht wurde. Allerdings gerieten diese Forschungsansätze danach wieder in Vergessenheit und wurden erst in den späten 1990er Jahren von dem amerikanischen Neurowissenschaftler Michael Gerson und anderen wieder entdeckt. Laloux stellt in seinem Buch zu recht die Frage: „Wie konnten Mediziner die Existenz eines Gehirns vergessen?“ und erklärt dies mit dem Glaubenssystem unserer Zeit. Wir leben in einer hierarchischen Welt, in der jede Organisation und jedes Unternehmen in der Regel einen Anführer hat. Und diese Welt prägt unsere Sicht auf die Dinge. Wir gehen also einfach davon aus, dass irgendetwas die Kontrolle über alles haben muss und haben uns kollektiv darauf geeinigt, dass dies in unserem Körper wohl unser Gehirn sein muss.
Der Stand-up-Comedian Emo Philips hat das Dilemma unserer Zeit sehr treffend auf den Punkt gebracht, indem er sagt: „Ich war der Überzeugung, mein Hirn sei das wunderbarste Organ in meinem Körper. Bis mir klar wurde, wer mir dies sagt“.
Zu jedem Trend gibt es aber immer irgendwann auch einen Gegentrend und wir erleben gerade eine Renaissance der Intuition, unseres Bauchgefühls also. Dies hat wohl damit zu tun, dass jeder Mensch, dieses Gefühl schon häufig erlebt hat. Dass man sich für oder gegen etwas entscheidet, weil es sich einfach richtig oder falsch anfühlt, ohne genau erklären zu können, warum.
Woher kommt denn überhaupt unsere Intuition?
Das Wort Intuition leitet sich aus dem Lateinischen Wort intueri ab und heißt übersetzt so viel wie „genau hinsehen, anschauen“. Wenn wir unserer Intuition folgen tun wir das also nicht blind sondern schauen, im Gegenteil, sogar sehr genau hin, allerdings eben nicht nur auf Basis von Daten und Fakten. Das Intuitive speist sich eher aus unserem Unbewussten und berücksichtigt unsere Erfahrungen, Emotionen, Bedürfnisse, Werte usw., zu denen die wir rein intellektuell nicht immer Zugang haben.
Meine persönliche Meinung zum Thema Intuition und Bauchgefühl
Ich gebe zu, dass ich mich häufig durch mein Bauchgefühl oder meinen inneren Kompass, wie ich es nenne, leiten lasse. Natürlich waren im Nachhinein nicht alle Entscheidungen, die ich in meinem Leben getroffen habe, erfolgreiche Volltreffer (aber ich bin ja auch der Meinung, dass man durch Krisen reift und diese auch ihren Sinn haben). Doch wenn man ehrlich ist, gibt es zu wirklich wichtigen Entscheidungen, die wir häufig zu treffen haben, keine eindeutigen Faktenlage. Wie soll ich als Unternehmer denn bewerten können, ob meine Entscheidung für oder gegen eine Investition zu 100% richtig sein wird? Wie soll ich als junger Mensch denn sicher sein, dass meine Berufswahl, meine Partnerwahl, die Entscheidung für oder gegen Kinder tatsächlich richtig ist? Wie soll ich mir als Führungskraft denn sicher sein, dass die Entscheidung für eine mehrmonatige Auszeit, wegen der Familie, tatsächlich einen Knick in meiner Karriere nach sich zieht? ...
Entscheidungen lassen sich nun mal nur treffen mit den Kriterien, die wir zum Zeitpunkt unserer Entscheidung zur Verfügung haben. Und es gibt leider sehr viele Entscheidungen, die wir zu treffen haben, zu denen es keine verlässlichen Beurteilungskriterien gibt. Unsicherheit ist also quasi unser ständiger Begleiter. Diese Unsicherheit bereitet vielen Menschen Angst, sie geraten nicht selten in eine Schockstarre und trauen sich häufig gar keine Entscheidung mehr zu. Das wirklich gute am Leben ist aber ja auch, dass einmal getroffene Entscheidungen durchaus revidiert werden können. Wir bekommen eigentlich immer wieder die Möglichkeit nochmal neu zu wählen. Keine Entscheidung, die wir heute treffen, ist also tatsächlich für die Ewigkeit. Ich persönlich finde das sehr tröstlich und es macht ja auch die Dynamik unseres Lebens aus.
Menschen, die einen guten Zugang zu sich und seinen Gefühlen und Bedürfnissen haben und gleichzeitig mit einer kräftigen Portion Vertrauen ausgestattet sind, treffen nachgewiesenermaßen eher Entscheidungen pur aus dem Bauch heraus. Ob sie damit immer zu 100% richtig liegen darf bezweifelt werden, aber das lässt sich auch sagen für Entscheidungen, die ausschließlich auf Basis verifizierbaren Daten und Fakten getroffen wurden; viele Politiker, Sachverständige, Wissenschaftlicher und Unternehmenslenker können ein Lied davon singen.
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